drohung, Belästigung und Gewalt gegen Anwältinnen und Anwälte zu eruieren. Die Autorin erläutert, bewertet und vergleicht die deutschen und europaweiten Ergebnisse und beleuchtet aktuelle Entwicklungen. I. PROBLEMAUFRISS UND HINTERGRUND Anwältinnen und Anwälte erleben immer wieder Beleidigungen, Bedrohungen oder sogar physische Gewalt im Zusammenhang mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit. Das Phänomen ist keineswegs neu; das illustriert etwa der Umstand, dass seit 15 Jahren ein internationaler Gedenktag – der 24. Januar – auf die Schicksale bedrohter und verfolgter Anwältinnen und Anwälte aufmerksam macht, der wiederum an eine tödliche Attacke auf Anwälte Ende der 1970er Jahre anknüpft.1 1 Tag des bedrohten Anwalts; s. dazu https://dayoftheendangeredlawyer.eu/. In Deutschland wurden lange Zeit kaum Fälle von Bedrohungen bekannt. Das änderte sich im Jahr 2019, als die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Ba¸say-Yıldız und ihre Familie Morddrohungen des „NSU 2.0“ erhielt. Ihr Fall erlangte eine breite Medienöffentlichkeit,2 2 S. statt vieler die Falldarstellung von Litschko, taz 21.2.2022. ebenso wie im Spätsommer 2024 der Fall der Dresdener Anwältin, die den späteren Messerattentäter von Solingen ein Jahr zuvor in dessen Asylverfahren vertreten hatte.3 3 Dazu unter IV.1. Neben diesen prominent gewordenen Fällen erhielten Kammern, Anwaltsorganisationen und NGOs4 4 Etwa Amnesty International, Lawyers4Lawyers, Observatorium der Rechtsanwälte. in den letzten Jahren zunehmend Mitteilungen über Fälle, in denen Anwältinnen und Anwälte, aber etwa auch Mitglieder von Kammervorständen,5 5 Dazu Remmertz, BRAK-Magazin 2/2023, 12. beleidigt und bedroht wurden. Ähnliche Entwicklungen waren auch in anderen europäischen Ländern zu verzeichnen. Der Nederlandse Orde van Advocaten (NOvA – niederländische Anwaltskammer) nahm dies im Jahr 2022 zum Anlass, eine breit angelegte Studie durchzuführen, um zu eruieren, in welchen Formen und in welchem Ausmaß Anwältinnen und Anwälte Aggression erleben. Das Ergebnis war alarmierend: Die Hälfte von ihnen hatte im vorangegangenen Jahr mindestens eine Form von Aggression erlebt, 40 % sogar mehrfach; 37 % stuften den erlebten Vorfall als (sehr) gravierend ein.6 6 Vgl. NOvA, Agressie, bedreiging en intimidatie bij advocaten, 2022. Das Menschenrechts-Komitee des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE), dem auch die BRAK angehört, entschied aufgrund der alarmierenden Ergebnisse der niederländischen Studie, dass in weiteren europäischen Staaten Umfragen mit im Detail abgestimmten parallelen Fragen durchgeführt werden sollten, um sowohl Daten als auch einen Überblick darüber zu erhalten, in welchem Ausmaß und mit welchen Auswirkungen Anwältinnen und Anwälte in Europa Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt sind.7 7 Näher zur europaweiten Durchführung unter IV. Diese Umfragen wurden in 18 Ländern von insgesamt 20 Kammern im Frühjahr 2024 durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einem Übersichtsbericht gebündelt,8 8 CCBE report on threatening behaviour and aggression towards lawyers, 2024. den der CCBE am 10.12.2024 – dem internationalen Tag der Menschenrechte – veröffentlichte. Nachfolgend werden die Gesamtergebnisse des CCBE-Berichts dargestellt und eingeordnet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der deutschen Untersuchung. II. DIE SITUATION IN DEUTSCHLAND Eine systematische empirische Erfassung, inwieweit Anwältinnen und Anwälte in Deutschland im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung verschiedenen Formen von Aggression ausgesetzt sind und wie sie damit umgehen, existierte bislang nicht. Allein anhand von Fallstatistiken lässt sich das Phänomen kaum erfassen, da – dies bestätigen auch die Antworten der Befragung – die wenigsten Fälle etwa bei den Rechtsanwaltskammern, anderen Anwaltsorganisationen oder der Polizei gemeldet werden. Aufgrund der durch die BRAK durchgeführten Umfrage sind nun erstmals Daten hierzu verfügbar; die Ergebnisse sind auf der BRAK-Website veröffentlicht.9 9 https://www.brak.de/fileadmin/Newsroom/2024_ergebnisse_umfrage_ccbe-bedr ohte_anwaltschaft.pdf. 1. DIE BEFRAGUNG Die Befragung wurde im März/April 2024 als OnlineUmfrage durchgeführt. Adressiert wurde die gesamte deutsche Anwaltschaft; die Anwältinnen und Anwälte wurden durch die BRAK mit Unterstützung der Rechtsanwaltskammern angesprochen. Mehr als 3.500 in Deutschland zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (ca. 1,2 % der Anwaltschaft) haben Fragen zu ihren Erfahrungen mit Angriffen in Form von Belästigungen, bedrohlichem Verhalten, verbaler oder körperlicher Aggression beantwortet. Mit Rücksicht auf den kurzen Befragungszeitraum, das sensible Thema und die Online-Durchführung ist der Rücklauf zufriedenstellend. 99,27 % der Antwortenden gaben an (Frage 1), in Deutschland zur Rechtsanwaltschaft zugelassen zu sein; nur deren Antworten werden nachfolgend dargestellt. 2. DIE TEILNEHMENDEN Nach Alter (Frage 7) und Kanzleigrößen (Frage 4) entsprechen die Teilnehmenden grob der Verteilung, die sich auch bei den STAR-Untersuchungen regelmäßig ergibt. In Bezug auf das Geschlecht (Frage 6) entspricht das Verhältnis – 61,11 % männlich, 38,71 % weiblich – ebenfalls in etwa dem, das sich in der BRAK-Mitgliederstatistik findet.10 10 Vgl. Mitgliederstatistik zum 1.1.2024: 37,09 % weiblich, vgl. auch Nachr. aus Berlin 11/2024 v. 29.5.2024. Insoweit handelt es sich um einen repräsentativen Querschnitt der Anwaltschaft. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 9
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