BRAK-Mitteilungen 1/2025

funden werden (vgl. oben c) gg)). Denn ein knappes Drittel (28,93 %) gaben an, dafür sei der Vorfall nicht schlimm genug gewesen. Weiteren 21,9 % kam eine Meldung oder ein Gespräch über den Vorfall aus anderen Gründen nicht in den Sinn. Andererseits lässt sich eine gewisse Resignation erkennen: 27,69 % nahmen an, dass eine Meldung nichts gebracht hätte, weil sowieso nichts dagegen unternommen worden wäre. Die häufigste Antwort war mit 36,78 %, dass solche Vorfälle zum Job gehören. Es liegt nahe, dass sich dies direkt auf die Arbeitszufriedenheit auswirkt, die etwa ein Drittel infolge von gegen sie gerichteter Aggression beeinträchtigt sieht (s. oben d)). Diese Wahrnehmung des Berufs („bedroht werden gehört dazu!“) kann sich zudem negativ auf die Nachwuchsgewinnung auswirken. Knapp 10 % gaben an, sie hätten „aufgrund meiner Schweigepflicht“ keine Meldung gemacht und mit niemandem über den Vorfall gesprochen; das lässt sich ebenfalls unter „gehört zum Job“ fassen. Tatsächlich beruht diese Antwort auf einem zu engen Verständnis der beruflichen Verschwiegenheitspflicht gem. § 43a II 1 BRAO. Diese findet anerkanntermaßen ihre Grenze, wo eine Offenbarung geschützter Umstände zur Wahrung berechtigter eigener Interessen der Anwältin oder des Anwalts erforderlich ist;14 14 Vgl. nur Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, § 43a BRAO Rn. 148 m.w.N. dies ist zudem explizit in § 2 IV b) BORA geregelt. Unter anderem dürfen Anwältinnen und Anwälte als Opfer einer vom eigenen Mandanten gegen sie begangenen Straftat Anzeige erstatten;15 15 Dazu Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rn. 157. im Kontext der Umfrage wären dies etwa Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung, Nötigung oder Nachstellung. Ebenso dürfen Anwältinnen und Anwälte sich gegen unrichtige öffentliche Angriffe wehren, die unmittelbar oder mittelbar von ihren Mandanten ausgehen.16 16 Vgl. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rn. 162 unter Hinw. auf strafrechtliche Literatur. Auch wenn Fälle, in denen Anwältinnen oder Anwälte sich gegen aggressives Verhalten aus dem Lager des eigenen Mandanten oder von der Gegenseite, wehren, bislang nicht judiziert oder in der Kommentarliteratur behandelt wurden, dürfte hier ebenfalls ein berechtigtes Interesse zu bejahen sein. Ein geringer Anteil der Teilnehmenden gab an, auf das Melden oder Besprechen des Vorfalls verzichtet zu haben, weil es ihnen peinlich war (1,86 %) oder weil sie annahmen, es hätte ihre Position beschädigen können (2,27%). Ein ebenfalls relativ kleiner Teil der Teilnehmenden (7,44 %) wusste nicht, wie er reagieren sollte, z.B. weil Informationen zu Ansprechpartnern fehlten. Hier kann mit Aufklärungsarbeit angesetzt werden. In knapp 10 % der Fälle berichteten die Befragten, die Situation sei an Ort und Stelle bereinigt worden. bb) OFFENER UMGANG MIT VORFÄLLEN Mehr als zwei Drittel der Betroffenen gehen offen mit dem erlebten Vorfall um. Die Antworten lassen eine deutliche Zurückhaltung gegenüber „offiziellen Stellen“ wie der Rechtsanwaltskammer oder der Polizei erkennen; an sie wandten sich nur 3,01 % (Kammer) bzw. 13,73 % (Polizei) der Betroffenen. Bei der Polizei könnte der geringe Anteil darauf zurückzuführen sein, dass Anzeigen als sinnlos empfunden werden (s. oben aa)). Bei den Kammern ist zu vermuten, dass vielen Anwältinnen und Anwälten nicht bewusst ist, dass diese auch in solchen Fällen Ansprechpartnerin sind und unterstützen können. Am weitaus häufigsten kommunizieren Betroffene mit Kolleginnen und Kollegen innerhalb oder außerhalb der eigenen Kanzlei über Aggressions-Vorfälle (60,2 %). Vorgesetzte wurden eher selten (6,14 %) angesprochen. Vertrauensberater innerhalb der Kanzlei wurden nur von einem minimalen Anteil der Teilnehmenden (0,66 %) adressiert, was vor allem daran liegen dürfte, dass in sehr wenigen Kanzleien derartige Vertrauenspersonen institutionalisiert sind. f) WAHRGENOMMENES RISIKO Die folgenden Fragen zielten darauf, inwieweit das Risiko, durch die anwaltliche Tätigkeit Drohungen, Belästigungen und Aggression zu begegnen, sich auf Anwältinnen und Anwälte auswirkt. In Bezug auf die berufliche Tätigkeit (Frage 23) sieht sich der weit überwiegende Teil der Teilnehmenden (insgesamt 86,75 %) kaum (37,87 %) oder gar nicht (48,88 %) durch das Risiko beeinflusst, aggressives Verhalten zu erfahren. Nur ein relativ geringer Anteil von ihnen (11,84 %) seht sich in nicht unerheblichem Umfang beeinflusst. In Bezug auf das Privatleben (Frage 24) sieht sich ein noch größerer Teil der Antwortenden (insgesamt 87,92 %) kaum (32,27 %) oder gar nicht (55,65 %) durch das Risiko beeinflusst, im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit aggressives Verhalten zu erfahren. Auch der Anteil derer, die sich in nicht unerheblichem Umfang beeinflusst sehen, liegt mit knapp 10 % etwas unter dem Einfluss auf die berufliche Sphäre. 1,85 % sehen sich in Bezug auf ihre berufliche Sphäre stark beeinflusst. Der Anteil derer, die sich in Bezug auf ihr Privatleben erheblich beeinflusst sehen, liegt mit 2,26 % leicht über demjenigen in Bezug auf die berufliche Sphäre. Beide Werte korrespondieren in etwa mit dem Anteil derer, die oft oder regelmäßig darüber nachdenken, wegen erlebter Aggression aus dem Anwaltsberuf auszuscheiden (s. oben b)). BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 14

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