menden Anwältinnen und Anwälte in der Art und Weise, wie sie ihre Tätigkeit ausüben. Das Ausmaß des wahrgenommenen Risikos unterscheidet sich hier zwischen den Ländern zum Teil deutlich. Im Durchschnitt gaben knapp 11 % der Teilnehmenden an, dieses Risiko beeinflusse ihre Arbeit stark, knapp 28 % gaben an, etwas beeinträchtigt zu sein, knapp 27 % berichteten von geringem und ein gutes Drittel (rund 34 %) gar keinem Einfluss. Bei dieser Frage weichen die deutschen Ergebnisse stark ab (vgl. oben II.3.f)), hier sieht sich knapp die Hälfte der Teilnehmenden völlig unbeeinflusst und 37 % kaum beeinflusst; nur knapp 2 % gaben einen starken Einfluss auf ihre berufliche Tätigkeit an. Die Differenz korrespondiert damit, dass die deutschen Betroffenen die erlebten Vorfälle insgesamt als weniger ernst bewerten (vgl. II.3.c)gg)) als der Durchschnitt. IV. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN UND AUSBLICK 1. VERÄNDERTES KLIMA IN DEUTSCHLAND – DER „FALL SOLINGEN“ Seit der Durchführung der Umfrage der BRAK im Frühjahr 2024 hat sich die Stimmung in Deutschland gegenüber Anwältinnen und Anwälten spürbar verändert. Dies wurde u.a. dadurch getriggert, dass die BILD nach dem Messer-Attentat in Solingen Ende August, bei dem drei Menschen getötet wurden, in reißerischer Art über eine Anwältin aus Dresden berichtete, die den Attentäter ein Jahr zuvor in seinem Asylverfahren vertreten hatte.18 18 Dazu u.a. Lorenz, beck-aktuell v. 29.8.2024. In der Folge wurde und wird die Anwältin in den sozialen Medien und auf anderen Kanälen massiv bedroht, die rechtsextreme identitäre Bewegung demonstrierte vor ihrer Kanzlei;19 19 Darüber berichteten u.a. Wolf, Sächsische Zeitung v. 4.9.2024; Piperidou/Suliak, LTO v. 5.9.2024. sie benötigt Polizeischutz. Die BILD erhielt zwischenzeitlich wegen der identifizierenden Berichterstattung eine Rüge des Presserats;20 20 Vgl. Pressemitt. des Presserats v. 6.12.2024; Nachr. aus Berlin 1/2025 v. 8.1.2025. an den infolge dieser Berichterstattung eingetretenen Bedrohungen der Anwältin ändert dies freilich nichts. Die Hass-Welle weitete sich auch auf völlig unbeteiligte Migrationsrechtlerinnen und Migrationsrechtler aus. Dies illustrieren sehr plastisch die Kommentare zum Interview eines Anwalts, der im Kontext der medialen Kritik an der Dresdener Anwältin u.a. den Ablauf des Asylverfahrens und die anwaltlichen Aufgaben erklärte.21 21 S. u.a. die Schilderung bei Wessels, BRAK-Mitt. 2024, 187; ferner Nachr. aus Berlin 19/2024 v. 19.9.2024. Darin wurden zum Teil unverhohlene Drohungen ausgesprochen,22 22 Etwa: „Einfach regelmäßig die Namen nennen, dann löst sich das Problem von selbst.“; dieser und weitere Kommentare mit expliziten Gewaltandrohungen wurden zwischenzeitlich von der Webseite des Focus gelöscht (Stand 6.1.2025; zitierter Kommentar zuletzt abger. am 17.9.2024). in vielen Kommentaren offenbarte sich aber auch ein problematisches Bild vom Rechtsstaat und vom Anwaltsberuf.23 23 Beispielsweise: „Anwälte sind die Aasgeier der Bevölkerung“; „Die Anwälte am besten gleich mit abschieben.“; „Solche Anwälte sind Teil des Problems.“; „Es geht doch den Anwälten nur ums Verdienen.“; ferner wird häufig das Narrativ einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ genutzt (zuletzt abger. am 6.1.2025). Es ist kein neues und auch kein rein deutsches Phänomen, dass gerade im Migrationsrecht tätige Anwältinnen und Anwälte verbale Ablehnung, aber auch Bedrohung und Gewalt erfahren. Der CCBE-Report erwähnt prominente neuere Fälle aus Irland und Großbritannien,24 24 Vgl. CCBE-Report, 2. auch in der niederländischen Untersuchung wird Migrationsrecht als eines der Rechtsgebiete genannt, in denen besonders häufig Aggression vorkommt.25 25 Vgl. NOvA, Agressie, bedreiging en intimidatie bij advocaten – meting 2024 (niederländisch), 2024, 18. 2. TENDENZEN Dass eine erneute Umfrage in Deutschland – aber auch in den übrigen CCBE-Mitgliedstaaten – zum jetzigen Zeitpunkt negativere Ergebnisse erbringen würde, liegt angesichts der beschriebenen Entwicklungen nahe. Von den an der Umfrage teilnehmenden Anwältinnen und Anwälten waren – unabhängig davon, ob sie selbst bereits von aggressiven Vorfällen betroffen waren oder nicht – mehr als ein Drittel (insgesamt 37,67 %) der Meinung, Drohungen, Belästigungen und Aggression hätten in den vergangenen fünf Jahren zugenommen (28,97 %) oder stark zugenommen (8,7 %).26 26 Frage 22: 12,09 % gaben dazu an, die Situation sei gleich geblieben; knapp die Hälfte (49,89 %) gab an, dies nicht einschätzen zu können; weniger als 0,5 % gehen von einer (starken) Abnahme aus. Der CCBE-Report lässt ebenfalls eine Tendenz dahin erkennen, dass Bedrohungen, Belästigungen und Aggression zunehmen (vgl. Abb. 5). Allerdings schätzen die teilnehmenden Anwältinnen und Anwälte im europäischen Durchschnitt die Entwicklung noch etwas negativer ein als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Insgesamt rund 45 % der Teilnehmenden nahmen eine Zunahme wahr:27 27 CCBE-Report, 7. 32,94 % gaben an, derartige Vorfälle hätten zugenommen, 12,6 %, dass sie stark zugenommenhaben.28 28 Im Durchschnitt gaben 15,88 % an, die Situation sei gleich geblieben; 37,14 % konnte dies nicht einschätzen; knapp 1,5 % gehen von einer (starken) Abnahme aus. Eine Verschlechterung der Haltung gegenüber Anwältinnen und Anwälten und eine Zunahme von Bedrohungen und Gewalt gegen Anwältinnen und Anwälte lässt sich in den Niederlanden sogar bereits quantifizieren: Der NOvA wiederholte seine im Jahr 2022 durchgeführte Studie im Sommer 2024. Während im Jahr 2022 etwa 50 % der teilnehmenden Anwältinnen und Anwälte angegeben hatten, im Verlauf des letzten Jahres mindestens eine Form von Aggression wegen ihrer beruflichen Tätigkeit erfahren zu haben, waren es im Jahr 2024 bereits 55 %.29 29 Vgl. NOvA, Summary Report Aggression, threatening behaviour and harassment targeted at advocates – 2024 measurement (englisch), 2024, 2. Und deutlich mehr von ihnen stufNITSCHKE, AGGRESSION UND BEDROHUNG GEGEN ANWÄLTINNEN UND ANWÄLTE – EIN EMPIRISCHER BLICK BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 16
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