BRAK-Mitteilungen 1/2025

die Mängel des Fahrzeugs, sondern eine günstigere Rechtsposition nach Widerruf angekommen, dem Gericht lebensfremd und unglaubwürdig erschienen, folgte das AG Dinslaken20 20 Vgl. AG Dinslaken, Urt. v. 12.1.2024 – 33 C 68/23 Rn. 12 ff. den Argumenten des Versicherers in allen drei Punkten und versagte die Deckung. Das formale Berufen auf die „Drei-Säulen-Theorie“21 21 Vgl. hierzu grundlegend BGH, Urt. v. 19.11.2008 – IV ZR 305/07 Rn. 19 ff. oder Cornelius-Winkler, in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl. 2018, § 4 ARB 2010 Rn. 49 ff. (hier: Versicherungsfall durch Zurückweisung des Widerrufs) führt bisweilen nicht zum erhofften Erfolg. Ein mit Sicherheit drohender Rechtsverstoß ist mit einem bereits eingetretenen gleichzustellen. Deshalb kann es unerheblich sein, wenn ein Anwalt bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rechtsschutzfalls mandatiert wurde und dessen erst den Rechtsschutzfall auslösende, erste Tätigkeit bereits Kosten ausgelöst hat.22 22 Vgl. AG Rockenhausen, Urt. v. 17.9.2024 – 7 C 17/23 Rn. 62 ff. im Fall des Widerrufs des Abschlusses eines Lebensversicherungsvertrags. 2. VERSICHERUNGSFALL, DAUERVERSTOSS UND FACEBOOK-SCRAPING In mehreren im Berichtszeitraum ergangenen Entscheidungen begehrten Versicherungsnehmer Deckungsschutz für ein Vorgehen gegen den Betreiber der SocialMedia-Plattform facebook, weil im April 2021 ihr Datensatz zu den insgesamt über 533 Millionen veröffentlichten und zum Kauf angebotenen Profilen von Nutzern gehörte, die infolge sog. Scrapings im Jahr 2019 rechtswidrig abgegriffen worden waren. Als Versicherungsfall wurden unzulängliche Sicherheitsvorkehrungen des Plattformbetreibers in der Zeit seit 2018 nach Einführung neuer technischer Funktionen und die Änderung von Datenschutz- und Benutzungsbedingungen substantiiert behauptet. In allen Fällen argumentierten die Versicherer, es liege Vorvertraglichkeit des Rechtsschutzfalls in Gestalt eines Dauerverstoßes23 23 S. § 4 II ARB und ausführlich etwaCornelius-Winkler, in Harbauer Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl. 2018, § 4 ARB 2010 Rn. 163 ff. seit jeweiliger Anmeldung zur Plattform vor. In keinem Verfahren wurde der Versicherer mit dieser Argumentation gehört. Ein Dauerverstoß erfordere rechtlich unselbstständige Verstöße, die sich als Teil eines einheitlichen Gefahrverwirklichungsvorgangs darstellen müssten. Auch ein einem Dauerverstoß gleichgestellter einheitlicher Verstoß, wenn rückblickend schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen zu rechnen war, liege nicht vor. Wenn nicht ohnehin nur und erst auf das Datum der unberechtigten Veröffentlichung abgestellt werden kann,24 24 Vgl. AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 10.4.2024 – 916 C 102/23 Rn. 27. konnte der für einen Dauerverstoß beweisbelastete Versicherer in keinem der Fälle außer der substanzarmen Behauptung, die Sicherheitslücke habe vom Tag der Anmeldung bestanden, etwas vortragen oder gar belegen.25 25 Vgl. LG Freiburg, Urt. v. 6.12.2024 – 9 S 1/24 Rn. 30 ff.; AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 5.3.2024 – 924 C 203/23 Rn. 39 f.; Urt. v. 9.4.2024 – 919 C 119/23 Rn. 22. 3. OBLIEGENHEITEN ZUR SCHADENMINDERUNG UND REPRÄSENTANTENSTELLUNG DES ANWALTS Nach § 5 I lit. b ARB trägt der Versicherer bei einem Rechtsschutzfall die Vergütung eines für den Versicherungsnehmer tätigen, am Ort des zuständigen Gerichts ansässigen ausländischen Anwalts. Rät ein deutscher Anwalt zur Einschaltung des ausländischen Anwalts, kann sich der Versicherer schon deshalb nicht darauf berufen, der Versicherungsnehmer habe grob fahrlässig seine Obliegenheit zur Schadenminderung gem. § 17 I lit. c bb ARB verletzt, weil der deutsche Anwalt nicht Repräsentant des Versicherungsnehmers ist und diesem selbst, weil Laie, kein Vorwurf zu machen ist. Dies hat das LG Köln26 26 Vgl. LG Köln, Urt. v. 15.4.2024 – 24 O 90/32 Rn. 37 unter zutreffendem Hinweis auf BGH, Urt. v. 14.8.2019 – IV ZR 279/17 Rn. 32, BGHZ 223, 57. Dazu ausf. Völker, BRAK-Mitt. 2020, 18 (22 f.). zutreffend festgestellt und darauf hingewiesen, dass es dem Versicherer freigestanden hätte, (rechtzeitig) eine konkrete Weisung zu erteilen, an einem einheitlichen Gerichtsstand zu klagen und keinen ausländischen Anwalt zu beauftragen.27 27 Zwar nicht gestützt auf die vom BGH, a.a.O. Rn. 14 ff. als intransparent verworfene Schadenminderungsobliegenheit in § 17 I lit. c) bb) ARB, wohl aber gem. § 82 II VVG. 4. ANSPRUCHSÜBERGANG NACH § 86 I VVG Keine Aufrechnung mit Honoraransprüchen gegen Anspruch auf Erstattung von Gerichtskosten Anders als die Vorinstanz setzte das LG Offenburg28 28 Vgl. LG Offenburg, Beschl. v. 1.7.2024 – 2 S 11/23 Rn. 3 ff. Vorinstanz AG Lahr, Urt. v. 12.10.2023 – 1 C 63/23 Rn. 16. die eine Aufrechnung gegenüber einem neuen Gläubiger gem. §§ 406, 412 BGB ausschließende Kenntnis von der Legalzession der Kenntnis von einer künftigen Legalzession und diese wiederum mit der Kenntnis von der Existenz einer Rechtsschutzversicherung und dem Mechanismus von § 86 VVG gleich. Auch auf die Frage, ob der Anspruch auf Rückzahlung von Gerichtskosten bereits aufschiebend bedingt mit deren Auslage oder erst nach Abschluss des Prozesses und damit nach Fälligkeit der Anwaltsvergütung entstehe, komme es nicht an. Gutglaubensschutz, den § 406 BGB intendiere, sei hier nicht angebracht. 5. HINREICHENDE ERFOLGSAUSSICHTEN UND DECKUNGSABLEHNUNG a) ZEITPUNKT DER PROGNOSEENTSCHEIDUNG Eine sich im Anschluss an eine „Vorreiter-Entscheidung“ des OLG München aus dem Jahr 2022 entwickelnde und zu zahlreichen divergierenden Entscheidungen in den Jahren 2022/23 führende Judikatur29 29 Vgl. OLG München, Beschl. v. 21.3.2022 – 25 U 9289/21 und die umfängliche, divergierende Judikatur der Instanzgerichte der Jahre 2022/23 in Völker, BRAK-Mitt. 2024, 27 (31) in Fn. 24-27. hat durch ein vielbesprochenes Urteil des BGH30 30 Vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2024 – IV ZR 140/23, Rn. 19 ff. m. zust. Anm. Cornelius-Winkler, NJW 2024, 2526 f.; Looschelders, LMK 2024, 818739; Syrbe, NZV 2024, 396; Horacek/Nieland, r+s 2024, 1029 (1036); Mayer, FD-RVG 2024, 815035; Kääb, FD-StrVR 2024, 815546; Grams, FD-VersR 2024, 815089; Filthut/Marlow/Spuhl, § 125 VVG, Rn. 4. Krit. dagegen C. Burmann/Dallwig, r+s 2024, 817 und Triesch, weitgehende Klärung gefunden. VÖLKER, DIE RECHTSPRECHUNG ZUR RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG IM JAHR 2024 BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 20

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