BRAK-Mitteilungen 1/2025

bedeutet also nicht, dass die Verzögerungen immer der Partei zuzurechnen sind und eine „demnächstige Zustellung“ scheitert. Man muss schon genau hinsehen, bei wem sich der Ball wie lange befindet. (ju) ANFORDERUNGEN AN ERSATZEINREICHUNG Einem Rechtsanwalt, der sich darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz per beA zu übermitteln, kann im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgehalten werden, er hätte sicherstellen müssen, im Störungsfall einen zweiten Versandweg zur Verfügung zu haben (Fax) oder auf einen neuen Versandweg ausweichen müssen, den er vorher noch nicht genutzt hatte (Computerfax). OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.10.2023 – 12 U 47/23 Der Beklagtenvertreter hatte die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil versäumt und hierfür Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Am Tag des Fristablaufs hatte der Beklagtenvertreter im Zeitraum von 18.34 Uhr bis 21.37 Uhr insgesamt sechs Schriftsätze über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) versandt. Nachdem er den Einspruchsschriftsatz gegen 23:10 Uhr fertiggestellt habe, habe er sich dann aber nicht mehr einloggen können, weil ab ca. 21.30 Uhr bis gegen 9.31 Uhr des Folgetags eine technische Störung beim beA bestanden habe. Eine anderweitige Möglichkeit zur Einreichung des Schriftsatzes habe dem Beklagtenvertreter nicht zur Verfügung gestanden, da er wegen eines auswärtigen Gerichtstermins in einer Privatunterkunft übernachtet habe und somit kein Faxgerät zur Verfügung stand. Die Möglichkeit, ein Internet-Fax zu versenden, sei ihm nicht geläufig und er habe in der verbleibenden Zeit auch keine Möglichkeit gehabt, die technische Voraussetzung für diese Übertragung zu schaffen. Dass das beA am Abend des 31.10.2022 bis zum Morgen des 1.11.2022 gestört und ein Versand nicht möglich war, konnte der Beklagtenvertreter durch Vorlage entsprechender Screenshots glaubhaft machen. Er hatte bis 23:55 Uhr mehrmals vergeblich versucht, sich in seinem beA anzumelden. Die primäre Rettungsmaßnahme wäre in so einem Fall grundsätzlich die Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 ZPO. Nur wenn diese nicht möglich ist, kommt man zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Denkbare alternative Versandwege sind das Fax oder das Computerfax. Das OLG Karlsruhe macht jedoch deutlich, dass sich aus § 130d S. 2 ZPO keine unmittelbare Verpflichtung zur Ersatzeinreichung ergebe. Ob diese möglich und zumutbar und deshalb geboten war, sei vielmehr nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 S. 2 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Für den umgekehrten Fall der fehlgeschlagenen Übermittlung per Telefax (vor Einführung der aktiven Nutzungspflicht des beA) hatte der BGH schon die Anforderungen aufgezeigt: Scheitert die Übermittlung, so ist der Rechtsanwalt zunächst gehalten, im gewählten Übermittlungsweg nach Alternativen zu suchen, die sich aufdrängen. Liegt die Ursache aber in einem Defekt des Empfangsgeräts oder Leitungsstörungen, kann vom Rechtsanwalt grundsätzlich nicht verlangt werden, innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherzustellen.2 2 BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390 = BRAK-Mitt. 2021, 121 Ls. Auch der zeitliche Aspekt schadete dem Beklagtenvertreter nicht: Zwar müsse man bei Ausnutzung der Frist bis zum letzten Tag besondere Sorgfalt walten lassen und eine zeitliche Sicherheitsreserve einkalkulieren; der Beginn des beabsichtigten Versandprozesses bei einem ersten Login gegen 23:15 Uhr sei jedoch rechtzeitig gewesen, um bei einem grundsätzlich funktionsfähigen elektronischen Übermittlungsweg auch im Fall einer unvorhergesehenen Verzögerung oder einer Wiederholung eine Übermittlung bis 24:00 Uhr sicherzustellen. (ju) WEITERLEITUNG VON SCHRIFTSÄTZEN ZWISCHEN GERICHTEN PER POST ENTSPRICHT NOCH IMMER „ÜBLICHEM GESCHÄFTSGANG“ 1. Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (im Anschluss an BGH Beschl. v. 26.1. 2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969). Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist. 2. Reicht ein Beteiligter eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht am darauffolgenden Werktag umsetzt (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 20.4.2023 – I ZB 83/ 22, ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 26.1.2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969). BGH, Beschl. v. 23.10.2024 – XII ZB 576/23 Die Beschwerde gegen ein erstinstanzliches Urteil wegen Zugewinnausgleich ging zwei Werktage vor Fristablauf beim OLG statt beim AG ein. Noch am selben Tag wurde von dort die Akte beim AG angefordert, erst am JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 28

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