BRAK-Mitteilungen 1/2025

[29] Die Änderung der Satzung der HR und die Übertragung ihrer Geschäftsanteile wurden am 6.4.2021 im Handelsregister des AG Traunstein eingetragen. [30] Mit Schreiben v. 9.4.2021 und 9.5.2021 teilte die HR der RAK München die Änderung ihrer Satzung und die Übertragung von 51 ihrer 100 Geschäftsanteile an die SIVE mit. [31] Mit Schreiben v. 19.5.2021 teilte die RAK München der HR mit, dass die Übertragung der Geschäftsanteile an die SIVE gem. den §§ 59a und 59e BRAO a.F. unzulässig sei und daher die Zulassung der HR zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werde, falls es bei der Übertragung der Geschäftsanteile bleibe. [32] Mit Schreiben v. 26.5.2021 teilte die HR der RAK München mit, dass es bei der Übertragung der Geschäftsanteile bleibe. [33] Mit der HR am 11.11.2021 zugestelltem Bescheid v. 9.11.2021 widerrief die RAK München die Zulassung der HR nach § 59e I 1 i.V.m. § 59h III 1 BRAO a.F. im Wesentlichen mit der Begründung, dass nur Rechtsanwälte und Angehörige der in § 59a I 1 und II BRAO a.F. genannten Berufe sowie Ärzte oder Apotheker Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein könnten. Nach Ansicht der RAK München verstoßen die Bestimmungen der BRAO a.F., die sie ohne jeden Ermessensspielraum anzuwenden habe, weder gegen die Art. 49 und 63 AEUV noch gegen Art. 15 der Richtlinie 2006/123, da deren Art. 25 I Unterabs. 2 Buchst. a entsprechende Einschränkungen für reglementierte Berufe zulasse. [34] Am 26.11.2021 erhob die HR beim Bayerischen Anwaltsgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen den Bescheid der RAK München über den Widerruf ihrer Zulassung. Sie stützt ihre Klage darauf, dass insbesondere das in Art. 63 I AEUV verbürgte Recht auf freien Kapitalverkehr und ihre Rechte aus Art. 15 der Richtlinie 2006/123 durch die §§ 59e I 1 und 59h III 1 BRAO a.F. verletzt würden. Darüber hinaus verletze der Bescheid das Recht der SIVE auf Niederlassungsfreiheit, wie es in den Art. 49 und 54 AEUV garantiert werde. [35] Das vorlegende Gericht stellt fest, dass der Erwerb von Geschäftsanteilen an einer juristischen Person des Privatrechts unter die in Art. 63 AEUV verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit falle. In Abgrenzung dazu sollten die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr dann maßgebend sein, wenn der Erwerber beabsichtige, durch diese Transaktion einen Einfluss auf ein Unternehmen auszuüben, was insbesondere anhand des Umfangs der erworbenen Geschäftsanteile und der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags festgestellt werden könne. [36] Im vorliegenden Fall seien 51 der 100 Geschäftsanteile an der HR auf die SIVE übertragen worden, wodurch diese eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der HR habe erlangen können. Die Satzung der HR entspreche jedoch § 59f IV BRAO a.F., nach dem die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte, die als Geschäftsführer oder gemäß der Satzung bevollmächtigt seien, für die Gesellschaft zu handeln, bei der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gewährleistet sein müsse. Sie enthalte nämlich mehrere zur Gewährleistung dieser Unabhängigkeit geeignete Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf die Abberufung von Geschäftsführern, die Befugnisse der Gesellschafterversammlung und die Unzulässigkeit von gegen diese Bestimmungen verstoßenden Beschlüssen. [37] Vor diesem Hintergrund äußert das vorlegende Geunionsrechtliche Zweifel des AGH richt als Erstes Zweifel an der Vereinbarkeit der §§ 59a und 59e bis 59h BRAO a.F. mit Art. 63 AEUV. [38] Erstens beschränke § 59e I 1 BRAO a.F. den Kreis der potenziellen Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften auf Rechtsanwälte und auf Angehörige bestimmter, in § 59a I 1 und II BRAO a.F. genannter freier Berufe. Zweitens müssten die Gesellschafter nach § 59e I 2 BRAO a.F. in der Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig sein. Drittens müsse nach § 59e II 1 BRAO a.F., wenn Angehörige anderer freier Berufe als Rechtsanwälte am Gesellschaftskapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt seien, die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte den Rechtsanwälten zustehen. Viertens hätten nach § 59e II 2 BRAO a.F. Gesellschafter, die zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs oder eines in § 59a I 1 und II BRAO a.F. genannten anderen freien Berufs nicht berechtigt seien, kein Stimmrecht. [39] Es sei zweifelhaft, ob diese Bestimmungen, mit denen in die Kapitalverkehrsfreiheit eingegriffen werde, auf der Grundlage des Art. 65 II AEUV gerechtfertigt werden könnten, nach dem Regelungen der Mitgliedstaaten, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienen sollten, zulässig seien. Die Beschränkungen nach den §§ 59a, 59e und 59h BRAO a.F. seien nämlich möglicherweise nicht erforderlich, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, da es den Gesellschaftern gem. § 59f IV BRAO a.F. untersagt sei, auf die anwaltliche Tätigkeit der Rechtsberatung einschließlich der Annahme oder Ablehnung eines Mandats Einfluss zu nehmen, und da die Unabhängigkeit der Geschäftsführung durch die Satzung der Gesellschaft abgesichert werden könne, wie es bei der Satzung der HR der Fall sei. Außerdem könnten die Anwaltskammern nicht nur die Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft davon abhängig machen, dass in ihrer Satzung geeignete Vorkehrungen enthalten seien, sondern die Zulassung gem. § 59h BRAO a.F. auch wieder entziehen, wenn die Satzung nachträglich geändert und dadurch der Schutz der Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit verringert oder aufgehoben werde. [40] Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass das Verbot der Beteiligung Dritter, die lediglich Gewinne erzielen wollten, ein geeignetes Mittel sei, um den Einfluss reiner Finanzinvestoren auf das operative Geschäft einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu verhindern, bestünden Zweifel, ob dieses Verbot erforderlich sei, da durch BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 46

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