BRAK-Mitteilungen 1/2025

ren Staat, dem im Inland die Ausübung der Rechtsberatung erlaubt ist, bzw. einen Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer eines anderen Staates, dem im Inland die Ausübung dieser Tätigkeit gestattet ist, oder einen Arzt oder Apotheker erworben werden; b) ein Gesellschafter zwar die besonderen Anforderungen gem. Buchst. a erfüllt, aber in der Rechtsanwaltsgesellschaft nicht beruflich tätig ist? c) aufgrund der Übertragung eines oder mehrerer Geschäftsanteile bzw. der Stimmrechte die Mehrheit hieran Rechtsanwälten nicht mehr zusteht? 2. Stellt es eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf Freiheit des Kapitalverkehrs gem. Art. 63 I AEUV dar, dass einem Gesellschafter, der zur Ausübung eines Berufs im Sinne von Nr. 1 Buchst. a nicht berechtigt ist, kein Stimmrecht zusteht, obwohl die Satzung der Gesellschaft zum Schutz der Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsträger und der anwaltlichen Tätigkeit der Gesellschaft Klauseln enthält, durch die sichergestellt ist, dass die Gesellschaft ausschließlich durch Rechtsanwälte als Geschäftsführer oder Prokuristen vertreten wird, den Gesellschaftern und der Gesellschafterversammlung untersagt wird, durch Weisungen oder mittelbar durch die Androhung von Nachteilen auf die Geschäftsführung einzuwirken, Gesellschafterbeschlüssen, die hiergegen verstoßen, die Wirksamkeit versagt wird und die anwaltliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit auf die Gesellschafter und von diesen beauftragte Personen erstreckt wird? 3. Erfüllen die unter Nr. 1 und Nr. 2 genannten Beschränkungen die Bedingungen gem. Art. 15 III Buchst. a bis c der Richtlinie 2006/123 für zulässige Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit? 4. Für den Fall, dass nach Auffassung des Gerichtshofs das Recht der Klägerin auf Freiheit des Kapitalverkehrs nicht betroffen sein sollte und ein Verstoß gegen die Richtlinie 2006/123 nicht vorliegt: Wird durch die unter Nr. 1 und Nr. 2 genannten Beschränkungen das Recht der SIVE auf Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV verletzt? Zu den Vorlagefragen Zur ersten, zur dritten und zur vierten Frage [47] In der Formulierung der ersten, der dritten und der vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, bezieht sich das vorlegende Gericht auf eine nationale Regelung, die den Widerruf der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht, wenn ein Geschäftsanteil an dieser Gesellschaft auf eine Person übertragen wird, die nach dieser Regelung nicht Gesellschafter einer solchen Gesellschaft werden kann, wenn ein Gesellschafter in der Rechtsanwaltsgesellschaft nicht beruflich tätig ist oder wenn die Gesellschafter, die Rechtsanwälte sind, nicht mehr die Mehrheit der Geschäftsanteile bzw. der Stimmrechte halten. Dem Vorabentscheidungsersuchen ist zu entnehmen, dass mit dieser Regelung im Wesentlichen verhindert werden soll, dass reine Finanzinvestoren, die nicht die Absicht haben, in der Gesellschaft beruflich tätig zu sein, auf das operative Geschäft der Rechtsanwaltsgesellschaft Einfluss nehmen. [48] Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Auslegung der Vorlagefragen Antwort zu geben, sind diese Fragen dahin aufzufassen, dass es damit im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 49 und Art. 63 I AEUV sowie Art. 15 II Buchst. c und III der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben, und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht. [49] Zwar bezieht sich das vorlegende Gericht in seiner dritten Frage auch auf die Dienstleistungsfreiheit, doch geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte nicht hervor, dass sich die SIVE auf diese Freiheit berufen möchte, um in Deutschland Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Diese Freiheit ist daher im Ausgangsverfahren nicht relevant. [50] Da das vorlegende Gericht sowohl auf die NiederAnwendbare Grundfreiheit(en) lassungsfreiheit als auch auf die Kapitalverkehrsfreiheit Bezug nimmt, ist vorab zu bestimmen, welche Grundfreiheit auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist. Abzustellen ist dabei auf den Gegenstand der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung und gegebenenfalls auf die tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falles (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 13.11.2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-35/11, EU:C:2012:707, Rn. 90, 93 und 94, sowie v. 24.2.2022, Viva Telecom Bulgaria, C-257/20, EU: C:2022:125, Rn. 78, 82 und 83). [51] Insoweit fällt eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (Urt. v. 24.2.2022, Viva Telecom Bulgaria, C257/20, EU:C:2022:125, Rn. 79 und 80 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). [52] Somit kann eine nationale Regelung, die nicht nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sondern unabhängig vom Umfang der BeteiliEUROPA BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 48

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