gung eines Anteilseigners an einer Gesellschaft gilt, sowohl unter die Niederlassungsfreiheit als auch unter die Kapitalverkehrsfreiheit fallen (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 24.5.2007, Holböck, C-157/05, EU:C:2007:297, Rn. 23 und 24, sowie v. 21.10.2010, Idryma Typou, C81/09, EU:C:2010:622, Rn. 49). [53] Der Gerichtshof prüft jedoch die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (Urt. v. 3.10. 2006, Fidium Finanz, C-452/04, EU:C:2006:631, Rn. 34, und v. 17.9.2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, EU:C:2009:559, Rn. 37). [54] Im vorliegenden Fall zielt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung namentlich darauf ab, jede Beteiligung, gleich welchen Umfangs, von Personen, die weder Rechtsanwälte noch Angehörige eines in § 59a I 1 und II BRAO a.F. genannten Berufs sind, an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu verhindern. [55] Im Übrigen hat die SIVE zwar 51 % des Stammkapitals der HR erworben, und in den sachlichen Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen nationale Vorschriften, die anzuwenden sind, wenn eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihr grundsätzlich ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 17.9.2009, Glaxo Wellcome, C-182/08, EU:C:2009:559, Rn. 47), was bei einer Mehrheitsbeteiligung am Kapital der letztgenannten Gesellschaft der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Beschl. v. 10.5. 2007, Lasertec, C-492/04, EU:C:2007:273, Rn. 23, und Urt. v. 21.12.2016, AGET Iraklis, C-201/15, EU:C:2016: 972, Rn. 46 und 47). [56] Allerdings wurde die Satzung der HR geändert, damit die SIVE nicht die Einflussmöglichkeit hat, die sie auf der Grundlage des Kriteriums der Kapitalbeteiligung hätte in Anspruch nehmen können. Wie Teilen der dem Gerichtshof vorliegenden Akte zu entnehmen ist, kann diese Änderung bedeuten, dass der Erwerb von Geschäftsanteilen an der HR durch die SIVE allein zu dem Zweck erfolgte, der HR Kapital zu verschaffen, das es ihr ermöglichen sollte, die Entwicklung eines innovativen Legal-Tech-Modells zu finanzieren. [57] Daraus folgt, dass das Ausgangsverfahren ebenso unter die Niederlassungsfreiheit wie unter die Kapitalverkehrsfreiheit fällt, ohne dass eine dieser Freiheiten als der anderen gegenüber zweitrangig angesehen werden könnte. [58] Was als Erstes die Niederlassungsfreiheit betrifft, Prüfung anhand Niederlassungsfreiheit ergibt sich aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123, dass Beschränkungen dieser Freiheit – u.a. wegen der äußerst großen Komplexität ihrer Handhabung von Fall zu Fall – nicht allein durch die direkte Anwendung des Art. 49 AEUV beseitigt werden können. Fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, ist er daher nicht auch am Maßstab des Art. 49 AEUV zu prüfen (Urt. v. 26.6.2019, Kommission/Griechenland, C729/17, EU:C:2019:534, Rn. 53 und 54). [59] Zum einen fällt aber ausweislich des 33. Erwägungsgrunds der Richtlinie 2006/123 die Rechtsberatung, welche die von Rechtsanwälten erbrachten Rechtsdienstleistungen umfasst, in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 13.1.2022, Minister Sprawiedliwo´sci, C-55/20, EU:C:2022:6, Rn. 88). [60] Zum anderen liegen in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, insbesondere in der Beschränkung des Kreises der als Gesellschafter in Betracht kommenden Personen und im Erfordernis der aktiven Mitarbeit in der Gesellschaft (§ 59e I 1 und 2 BRAO a.F.), „Anforderungen“ i.S.d. Art. 4 Nr. 7 der Richtlinie 2006/123, die sich im Kern auf die Beteiligungen am Gesellschaftsvermögen beziehen und damit unter Art. 15 II Buchst. c dieser Richtlinie fallen. [61] Insoweit müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 15 I der Richtlinie 2006/123 prüfen, ob ihre Rechtsordnungen Anforderungen wie die in Art. 15 II aufgeführten vorsehen, und sicherstellen, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Art. 15 III erfüllen. Außerdem ist es den Mitgliedstaaten nach Art. 15 V Buchst. a und VI dieser Richtlinie gestattet, Anforderungen der in Art. 15 II genannten Art beizubehalten oder gegebenenfalls einzuführen, sofern diese Anforderungen die Bedingungen des Art. 15 III erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 16.6.2015, Rina Services u.a., C-593/13, EU:C:2015: 399, Rn. 33, und v. 29.7.2019, Kommission/Österreich [Ziviltechniker, Patentanwälte und Tierärzte], C-209/18, EU:C:2019:632, Rn. 80). [62] Die in Art. 15 III der Richtlinie 2006/123 aufgeNichtdiskriminierung zählten kumulativen Bedingungen betreffen erstens den nicht diskriminierenden Charakter der fraglichen Anforderungen, die weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen dürfen, zweitens ihre Erforderlichkeit, nämlich, dass sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, und drittens ihre Verhältnismäßigkeit, indem sie zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein müssen, nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzbar sind, die zum selben Ergebnis führen (Urt. v. 29.7.2019, Kommission/Österreich [Ziviltechniker, Patentanwälte und Tierärzte], C-209/18, EU:C:2019:632, Rn. 81). [63] Im vorliegenden Fall ist, was zunächst die erste Bedingung – diejenige der Nicht-Diskriminierung durch BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 49
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