die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anforderungen – betrifft, keine davon diskriminierend, so dass sie diese Bedingung erfüllen. [64] Sodann geht zur zweiten Bedingung – derjenigen Erforderlichkeit der Erforderlichkeit der Anforderungen – aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass mit diesen die anwaltliche Unabhängigkeit und Integrität sowie die Wahrung des Transparenzgebots und die Beachtung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht sichergestellt werden sollen. [65] Es ist offensichtlich, dass diese Zielsetzung mit dem Schutz der Dienstleistungsempfänger, hier der Empfänger von Rechtsdienstleistungen, und mit der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege zusammenhängt, beides zwingende Gründe des Allgemeininteresses i.S.d. Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2006/123 i.V.m. deren 40. Erwägungsgrund. Da außerdem mit besagtem Art. 4 Nr. 8 nur die Rechtsprechung des Gerichtshofs kodifiziert wird, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung des Primärrechts sowohl den Schutz der Rechtsuchenden (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 12.12.1996, Reisebüro Broede, C3/95, EU:C:1996:487, Rn. 38, v. 17.3.2011, Pen˜arroja Fa, C-372/09 und C-373/09, EU:C:2011:156, Rn. 55, und v. 18.5.2017, Lahorgue, C-99/16, EU:C:2017:391, Rn. 34 und 35) als auch die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als zwingende Gründe des Allgemeininteresses beurteilt hat (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 19.2.2002, Wouters u.a., C-309/99, EU:C: 2002:98, Rn. 107). [66] Insoweit besteht die anwaltliche VertretungsaufgaZentrale Bedeutung anwaltlicher Unabhängigkeit be, die im Interesse einer geordneten Rechtspflege auszuüben ist, vor allem darin, in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung des Gesetzes sowie der Berufs- und Standesregeln die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 4.2. 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C-515/ 17 P und C-561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 62, und v. 24.3.2022, PJ und PC/EUIPO, C-529/18 P und C-531/ 18 P, EU:C:2022:218, Rn. 64). Den Rechtsanwälten wird die in einer demokratischen Gesellschaft grundlegende Aufgabe übertragen, für die Rechtsuchenden einzutreten. Diese Aufgabe impliziert zum einen das Bestehen der Möglichkeit für jeden Rechtsuchenden, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen Beruf an sich es seinem Wesen nach gehört, all denen unabhängig Rechtsberatung zu erteilen, die sie benötigen. Zum anderen geht mit ihr das Erfordernis der Loyalität des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten einher (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 8.12.2022, Orde van Vlaamse Balies u.a., C-694/20, EU:C:2022:963, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). [67] Die dritte Bedingung schließlich – diejenige der Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede Verhältnismäßigkeit stehenden Anforderungen – setzt voraus, dass diese zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sind, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können, die zum selben Ergebnis führen. [68] Im vorliegenden Fall sollen diese Anforderungen – insbesondere, indem mit ihnen ausgeschlossen wird, dass reine Finanzinvestoren etwa in der Lage wären, die Entscheidungen und die Geschäfte einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beeinflussen – dazu beitragen, dass die anwaltliche Unabhängigkeit gewahrt und dem Verbot von Interessenkonflikten Rechnung getragen wird. Damit erscheinen sie geeignet, zu gewährleisten, dass das Ziel der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege und des Schutzes der anwaltlichen Integrität erreicht wird. [69] Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nämlich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könnte ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken – gegebenenfalls unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmacht. [70] Erstens aber beschränkt sich das von einem reinen Finanzinvestor verfolgte Ziel auf das Streben nach Gewinn, während sich die anwaltliche Tätigkeit nicht an rein wirtschaftlichen Zwecken ausrichtet, sondern auch an die Einhaltung von Berufs- und Standesregeln gebunden ist. [71] Insoweit ist klarzustellen, dass es für die Ausübung Möglicher Einfluss durch Finanzinvestoren des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich ist, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt, was insbesondere voraussetzt, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit – einschließlich in finanzieller Hinsicht – gegenüber staatlichen Stellen und anderen Wirtschaftsteilnehmern befinden, deren Einfluss sie nicht ausgesetzt sein dürfen (Urt. v. 2.12.2010, Jakubowska, C-225/09, EU:C:2010: 729, Rn. 61). Zum einen könnten sich nämlich in Ermangelung einer solchen finanziellen Unabhängigkeit wirtschaftliche Überlegungen, die auf einen kurzfristigen Gewinn des reinen Finanzinvestors ausgerichtet sind, gegenüber Erwägungen durchsetzen, die ausschließlich davon geleitet sind, dass die Interessen der Mandanten der Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten werden. Zum anderen kann auch das Bestehen etwaiger Verbindungen zwischen einem reinen Finanzinvestor und einem Mandanten das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant in einer Weise beeinflussen, dass ein Konflikt mit Berufsoder Standesregeln nicht ausgeschlossen werden kann. BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 50
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