[3] II. Die Berufung ist gem. § 322 I StPO als unzulässig zu verwerfen. Denn sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d S. 2 StPO i.V.m. § 116 I 2 BRAO. [4] 1. Nach der seit dem 1.1.2022 geltenden Vorschrift § 32d S. 2 StPO findet Anwendung des § 32d S. 2 StPO, welcher gem. § 116 I 2 BRAO für das anwaltsgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (BGH, Beschl. v. 6.2.2024 – 6 StR 609/23 Rn. 4). Diesen Anforderungen entspricht die am 9.5.2023 per Fax übermittelte Berufungsschrift nicht (für per Telefax übermittelte Revisionseinlegung: BGH, Beschl. v. 9.8.2022 – 6 StR 268/22 Rn. 3). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach § 32d S. 3 StPO sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ohnehin stellt eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung dar (BGH, Beschl. v. 27.9.2022 – 5 StR 328/22 Rn. 2). [5] 2. Dem steht nicht entgegen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt zugleich Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens, mithin nicht für einen Dritten, sondern in eigener Angelegenheit aufgetreten ist (Bay. OLG, Beschl. v. 14.7.2023 – 201 ObOWi 707/23 Rn. 5; OLG Hamm, Beschl. v. 20.7.2023 – III-4 ORs 62/23 Rn. 7; s.a. BGH, Beschl. v. 15.12.2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 Rn. 8). § 32d StPO gilt für Verteidiger und Rechtsanwälte. Als Rechtsanwalt ist er Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens. Ist er gerade als Rechtsanwalt Beteiligter des Verfahrens, muss er auch die für Rechtsanwälte geltenden zwingenden Formvorschriften einhalten. [6] 3. Entgegen der Rechtsprechung des AGH NordAbweichung vom AGH NordrheinWestfalen rhein-Westfalen (Urt. v. 21.4.2023 – 2 AGH 10/22 Rn. 4) kann der BRAO auch keine Regelung entnommen werden, wonach § 32d S. 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finde. Insbesondere kommt § 37 BRAO hierfür nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach gesetzessystematischer als auch historischer Auslegung im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung findet. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. [7] a) Richtig ist lediglich, dass § 37 BRAO seinem Wortlaut nach („nach diesem Gesetz“) für alle Erklärungen gilt, für deren Abgabe nach der BRAO die Schriftform vorgeschrieben ist sowie dass § 143 II BRAO regelt, dass die Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichts schriftlich eingelegt werden muss. Zutreffend ist es auch, dass sich § 37 BRAO auf die BRAO insgesamt bezieht und nicht etwa nur auf die Regelungen des Dritten Abschnitts des Zweiten Teils der BRAO über das Verwaltungsverfahren, was die Gesetzesmaterialien zu § 37 BRAO und § 64c BNotO belegen (BT-Drs. 19/26828, 198 sowie 159). [8] b) Daraus kann aber bereits aus gesetzessystemati- §37BRAOim anwaltsgerichtlichen Verfahren unanwendbar schen Gründen nicht geschlossen werden, dass mit § 37 BRAO eine abschließende Regelung vorliege, die eine ergänzende Anwendung von § 32d S. 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren ausschließe. Denn die BRAO schafft mit seiner Regelung im Siebenten Teil eine eigenständige und abschließende Verfahrensrechtsordnung für das anwaltsgerichtliche Verfahren, welche sich prozessual an das Strafprozessrecht anlehnt (BGH, Urt. v. 30.9.2019 – AnwZ (Brfg) 32/18 Rn. 22), die auch eigene Formvorschriften für Rechtsmittel bereit hält. [9] Gesetzestechnisch ist diese Regelung derart ausgestaltet, dass in den §§ 117 bis 161a BRAO besondere Bestimmungen für das anwaltsgerichtliche Verfahren normiert sind und in § 116 I 2 BRAO die ergänzende sinngemäße Anwendung der StPO angeordnet wird. In den vorrangig zu beachtenden (Dittmann/Thole, in Henssler/Prütting, BRAO, 6. Aufl. 2024, § 116 Rn. 1) „Spezialbestimmungen“ (Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl. 2022, § 116 Rn. 1) der §§ 117 bis 161a BRAO werden hierbei lediglich einzelne („rudimentäre“ – von der Meden/Solka, BeckOK BRAO, 24. Ed. 1.8.2024, § 116 Rn. 1) verfahrensrechtliche Regelungen getroffen, die den historisch gewachsenen Besonderheiten des Berufsrechts der Rechtsanwälte Rechnung tragen sollen (von der Meden/Solka, a.a.O.). Werden durch diese besonderen Bestimmungen keine oder nur unvollständige Regelungen für das Verfahren getroffen, ist insgesamt und ohne Einschränkungen die StPO „subsidiär“ (KleineCosack, BRAO, 9. Aufl. 2022, § 116 Rn. 1) für sinngemäß anwendbar erklärt. Die überwiegende Anzahl der Verfahrensvorschriften ist deshalb der StPO zu entnehmen (von der Meden/Solka, a.a.O., vor Rn. 1). [10] Trifft die BRAO in diesem Sinne eine abschließende Sonderregelung für anwaltsgerichtliches Verfahren Sonderregelung für das anwaltsgerichtliche Verfahren, gilt diese vorrangig vor jeder anderen allgemeinen Regelung in der BRAO. Selbst wenn man also – wie der AGH Nordrhein-Westfalen in seinem o.g. Urt. v. 21.4.2023 – die Vorschrift des § 37 BRAO als eine Regelung „im Allgemeinen Teil der BRAO“ auffasst, die neben der gesetzlich vorgesehenen Schriftform als (bloße) zusätzliche Möglichkeit die elektronische Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach vorsieht, so stellen die Vorschriften der §§ 116 ff. BRAO mit ihren besonderen Vorschriften und der angeordneten ergänzenden sinngemäßen Anwendung der StPO für das anwaltsgerichtliche Verfahren, wozu auch § 32d S. 2 StPO gehört, eine vorrangige, weil speziellere Regelung dar. ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 83
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